Freitag, 12. April 2013

„Bos es dos?“ – Besuch bei den Mantaken in Metzenseifen


Ich verlasse Košice und fahre Richtung Südwesten in den kleinen Ort Medzev, zu Deutsch Metzenseifen. Dort soll die kleine deutschsprachige Gemeinde der Mantaken etwas versteckt im Slowakischen Karst leben. Von Mantaken habe ich noch nie zuvor gehört, obwohl sie nur 30 Kilometer westlich von Košice entfernt leben und das seit 800 Jahren… 
Bereits vor der Fahrt warnt man mich vor dem schlechten Zustand der slowakischen Straßen. Nach dem ungewöhnlich harten Winter seien zahlreiche der flüchtig mit Asphalt gefüllten Teerflicken wieder aufgeplatzt. Auf der Landstraße in Richtung Jasov wimmelt es dann nur so vor Schlaglöchern. Ich weiche ihnen aus, wie auf einer Slalomstrecke. Dabei muss ich unwillkürlich an meinen Cousin denken, der mich erst kürzlich fragte, woran man einen betrunkenen slowakischen Autofahrer erkenne: Nüchterne Autofahrer fahren Slalom, betrunkene geradeaus. – Soweit meine Einführung in den trockenen slowakischen Humor.
Die kurvige Landstraße führt mich abwechselnd durch langgezogene Dörfer und ödes Weideland. Es folgen finstere Waldgebiete und mich beschleicht das Gefühl mich verfahren zu haben. Dann endlich ein Ortschild: Jasov. Von hier ist es laut Karte nur noch ein Katzensprung nach Medzev. 


Plötzlich verwandelt sich die Fahrbahn zum Fußweg. Drei Mädchen laufen Hand in Hand unbeschwert auf der Gegenspur, eine Gruppe Jugendlicher zieht einen Schubkarren mit Brennholz vor sich her. Direkt an der Hauptstraße von Jasov lebt die Roma-Bevölkerung in dicht besiedelten Häusern. 


Es raucht aus den Hütten, die teilweise nur mit Wellblech verkleidet sind. Überall türmt sich der Müll auf. Unweit der Roma-Siedlung prangen auf einer Anhöhe stolz die beiden Türme des Prämonstratenser-Klosters von Jasov. Dahinter erstrecken sich die Gebirgszüge des Slowakischen Erzgebirges. Weiß blitzt das Gestein unter dem dichten Wald des Slowakischen Karsts hervor. Wie unmittelbar hier doch Idylle und die harte Realität der Roma beieinander liegen. 


Vorbei an der „Schule“ der Roma – einem ausgebrannten Betonklotz – fahre ich weiter Richtung Metzenseifen. Das deutsch-slowakischsprachige Ortsschild Medzev-Metzenseifen heißt mich willkommen. Es deutet auf eine lange Geschichte deutscher Siedler hin, die bis ins frühe Mittelalter zurückgeht. Nachdem reiche Erzvorkommen im Bodwatal entdeckt wurden, sandte der ungarische König Bela IV. Mitte des 13. Jahrhunderts seine Boten in den Westen, um deutsche Bergleute und Handwerker anzuwerben. 

Metzenseifen entwickelte sich alsbald zu einem wichtigen Wirtschaftszentrum und genoss selbst am kaiserlichen Hof durch seine Schmiedekunst ein hohes Ansehen. 1842 waren 109 Hammerschmieden mit 198 Essen in Betrieb – zu jener Zeit die weltweit höchste Konzentration. Heute ist von dem alten Glanz kaum noch etwas zu spüren. Eine Hammerschmiede soll angeblich noch in Betrieb sein. Doch als ich vorbeifahre, wirkt sie wie ausgestorben. Inzwischen sind die meisten Bewohner in der Holzwirtschaft beschäftigt. Doch die Arbeitslosigkeit greift hier um sich, unschwer an den betrunkenen Männern zu erkennen, die auf den Gehwegen entlangtorkeln. 
Schon beim Aussteigen aus dem Auto, werde ich prompt von einem alkoholisierten Bewohner auf Slowakisch nach einer Zigarette gefragt. Ich versuche mich auf Deutsch heraus zu reden: „Ich verstehe nichts“. Doch überraschend hilft mir das nicht weiter: Der Mann wechselt sogleich ins Deutsche. Das passiert mir zum ersten Mal in diesem Land.
Metzenseifen gilt heute als DIE Hauptstadt der Deutschen der Slowakei. 400 der knapp 4300 Bewohner zählen sich laut der letzten Volkszählung von 2011 zur deutschen Minderheit. 1999 waren es fast doppelt so viele. 
Ich treffe Helmut Bistika, einen freischaffenden Künstler und Kunstpädagogen aus Medzev, in seinem Café am Kirchplatz. Das Galérie-Café ist eine Oase. Der wohlduftende Hauch von Café, Zimt und Schokolade steht im starken Kontrast zum Geruch von Brennholz, der die Straßen der Stadt durchströmt. Während im Ort einige Schaufenstervitrinen den Eindruck erwecken, als stünden sie seit Jahren leer, erstrahlen die im Galérie-Café ausgestellten Gemälde in leuchtenden Farben. 


Vor zwei Jahren hat Helmut Bistika gemeinsam mit seiner Frau die Räumlichkeiten restauriert. Die beiden haben sich ihren Traum erfüllt. Aber an das liebevoll eingerichtete Café mit gefliester, lachsfarben schimmernder Theke gewöhnen sich die Bewohner offensichtlich nur langsam. Selten betritt lokale Kundschaft sein Café.
Helmut Bistika gehört wohl zu den wenigen, die nach 1960 geboren sind und dennoch fließend Mantakisch sprechen. Dass in der Familie Bistika noch Dialekt gesprochen wird, ist inzwischen alles andere als selbstverständlich. Nur noch selten wird Mantakisch an die Nachkommen weitergegeben. - Eine vom Aussterben bedrohte Sprache.
Mantakisch klingt in meinen Ohren wie antiquiertes Bayerisch. Dabei täuscht der Eindruck, denn auch Siedler aus anderen deutschen Regionen, wie Thüringen und der Rhein/Main-Gegend beeinflussten die Sprache im Ort über die Jahrhunderte. 
Wie kommt es, dass sich der mantakische Dialekt über Jahrhunderte hinweg gerade in Metzenseifen erhalten konnte? Es muss an der Abgeschiedenheit des Bodwatals liegen. Im Gegensatz zu anderen karpatendeutschen Siedlungsgebieten in der Slowakei gab es hier weniger Zuwanderung anderssprachiger Volksgruppen.

An einer Wand des Cafés entdecke ich ein Gedicht auf mantakisch. Ich versuche die Bedeutung der Sätze zu entziffern. Es handelt sich um einen Auszug aus der Ballade 'Die Metzenseifner Kirch' des Heimatdichters Peter Gallus. „Hond“ statt „Hund“ und „Grond“ statt „Grund“. „Was ist das“ wird zu “ „Bos es dos“ – Ich muss unweigerlich schmunzeln, weil mir das Kinderlied „Drei Chinesen mit dem Kontrabass“ in den Sinn kommt.
Helmut wendet sich unterdessen einer Traube Frauen mittleren Alters zu. Der Künstler beginnt wild gestikulierend in geheimnisvollen Mantakisch mit den Damen zu sprechen und verschwindet kurzerhand. Die Freude über diese seltenen Gäste ist ihm anzusehen. Während er für seine Kunden Sachertorte zubereitet, frage ich die Damen, wo ich mehr über mantakische Kultur und Geschichte erfahren könne. Sie raten mir, mich an die Mitglieder des Karpatendeutschen Vereins zu wenden, die sich einmal die Woche zum Singen treffen.
– Also dann, die nächste Reise nach Medzev ist bereits geplant. Doch dann nehme ich lieber den Bus, um die Servolenkung des Autos meiner Großmutter nicht überzustrapazieren…








Fotostrecke Metzenseifen







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1 Kommentare:

Unknown hat gesagt…

Ich sei a schmelemza und ich fra mich
ben ich sobos les.
Danke.

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