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Freitag, 21. Juni 2013

Halbzeit





Es ist Halbzeit. Zweieinhalb Monate sind vorüber – zweieinhalb Monate verbleiben mir noch. Inzwischen bin ich hier zuhause. Am liebsten würde ich gern die Zeit aufhalten, so wohl fühle ich mich in meiner neuen-alten Heimat. Thomas Manns Ansicht, dass Reisen das einzig Taugliche gegen die Beschleunigung der Zeit sei, kann ich bei bestem Willen nicht teilen. Eher fühle ich mich seit meiner Ankunft in der Kulturhauptstadt wie eine Getriebene von all den Eindrücken, die mir nachts durch den Kopf wirbeln nach einem ereignisreichen Tag voller interessanter Begegnungen.

Ich habe mich inzwischen an Vieles gewöhnt: an die Klänge von Geigen und Trompeten, die morgens aus der Musikschule zu meiner gegenüberliegenden Dachwohnung des ungarischen Theaters, das Sándor Márai Studio, drängen an die hohen Bordsteine, die löchrigen, mit Asphaltblasen versehenen Straßen, über die ich mit meiner scheppernden Rostlaube rumpele. An heißen Tagen genieße ich den böigen warmen Wind ganz besonders, der immerzu durch den Kaschauer Kessel, das Tal der Westkarpaten, zieht. 



Ich erfreue mich am Anblick der lächelnden Trachten-Oma, deren Kopftuch ihr wettergegerbtes Gesicht umrahmt. Tag für Tag verkauft sie Blumen an ihrem Marktstand auf dem Dominikaner-Platz. Ich gewöhne mich allmählich an die langen, dünnen, halbnackten Beine auf schwindelerregenden High Heels, die über die Kopfsteinpflaster der Altstadtgassen stolzieren. Nachmittags vernehme ich das Sprudeln des farbig beleuchteten Wasserspiels auf der Hauptgasse am Elisabethdom. Abends tänzeln die Fontänen rhythmisch zur Melodie von „Yesterday“ auf und ab. Daneben schlendern zu jeder Tageszeit in aller Gemütlichkeit Eiscreme schleckende Passanten.

Ich ärgere mich nicht mehr über gelangweilt dreinblickende, kaugummikauende Verkäuferinnen, die ihre 8-Stunden-Schichten hinter dem Tresen abtelefonieren. Lieber erfreue ich mich am andersartigen Geruch in den Supermärkten, der meine Nase durchströmt. Ich kenne schon den Geschmack des slowakischen Räucherkäses, des sahnigen Bauernjoghurts und des weichen, ungesalzenen Brotes. 

Selbst den 60-prozentigen Sliwowitz meines Großvaters aus hauseigenen Pflaumen kriege ich inzwischen problemlos herunter – und das noch vor unserem sonntäglichen Mittagessen! Währenddessen erzählt mir mein Großvater mit erhobenem Zeigefinger, dass sein Schnaps die beste Vorsorge gegen alle möglichen gesundheitlichen Beschwerden sei. Auch den süßen Sünden meiner Großmutter, die sie mir in einer Schachtel zärtlich verpackt auf den Heimweg mitgibt, kann ich selten widerstehen…

In der „Dobrá Čajovná“ („Gute Teestube“) auf der Fleischergasse heißt mich der Duft der Wasserpfeifen willkommen, wenn ich die Treppen zu meinem Yoga-Kurs emporsteige. Einzigartig ist auch die Dampflokomotive "Katka", die durch das Čermel-Tal am Stadtrand von Kaschau pfeift. Der Rauch verbrannter Kohle dringt bis zum Waldweg hindurch, meiner Joggingstrecke inmitten der Natur. 


Ich schnuppere die Luft nach dem Regen in Kaschau, die ganz anders riecht, als in Hamburg. Eine eigenartige Atmosphäre stellt sich ein nach dem sommerlichen Platzregen mit Donnerschlägen, die ähnlich wie Betonwände nach einer Sprengung mit ohrenbetäubendem Getöse herunterbrechen. Urwaldfeeling inmitten urbaner Plattenbaukulisse! – An all das habe ich mich jetzt schon gewöhnt, und möchte es kaum mehr missen. Zweieinhalb Monate bleiben mir noch. Zum Glück.
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Freitag, 26. April 2013

Empörung in Košice – Wie die Tagesschau die Kulturhauptstadt verärgert





„Wie nehmen die Bewohner von Košice ihren Titel als Kulturhauptstadt wahr?“, werde ich oft von meinen deutschen Bekannten gefragt. Spätestens seit Januar steht die Kulturhauptstadt im medialen Rampenlicht. So viel Aufmerksamkeit ist sie nicht gewohnt. – So viel Kritik ebenso wenig.
Der eine Bevölkerungsteil beäugt mit Sarkasmus, aber heiterer Miene die offenen Baustellen in der Stadt. Die schwarzen Plakate mit pinker Aufschrift „Košice, Europäische Kulturhauptstadt“, die meterhoch die grauen Wände der Innenstadt schmücken, deuten auf Bombastisches hin. Hoffentlich werde wenigstens eines der großangelegten Projekte zum Ende des Kulturjahres fertig, rechtzeitig, wenn alle Touristen längst wieder abgereist seien, so die Kommentare.
Der andere Teil wirkt weniger amüsiert. Die Kränkung über die ausländische Auseinandersetzung mit der „Kulturhauptstadt Košice“ sitzt tief. Die ausländische Berichterstattung sei hart und ungerecht. Westliche Journalisten würden den Titel der Kulturhauptstadt bloß als Vorwand nutzen. Statt von den historischen und kulturellen Reichtürmern der Stadt zu berichten, seien sie in Wirklichkeit bloß scharf auf die wuchernden Roma-Ghettos in und um Košice. 
Dabei habe die Stadt so viel mehr zu bieten: Košice, das erstmals im Jahre 1230 schriftliche Erwähnung fand, dessen St.-Elisabeth-Dom die größte Kirche der gesamten Slowakei sowie zugleich das östlichste Bauwerk der europäischen Hochgotik darstellt! Košice, die Stadt, die seit jeher Ungarn, Slowaken, Juden, Deutsche und Ruthenen friedlich unter einem Dach beherbergt und von multikultureller Vielfalt gerade nur so sprüht! Warum bloß wollen die Ausländer immerzu die Lage der „Zigeuner“ thematisieren?
Ein Blick in die deutsche Berichterstattung über die „Kulturhauptstadt Košice“ zeigt zu Recht: Die Artikel sind voller Schreckensberichte über die Situation der hier lebenden Roma.
Im Tagesthemen-Bericht vom 20. Januar 2013, am Tag nach der Eröffnungsfeier der Kulturhauptstadt, lautet es sogleich am Anfang: „Die slowakische Stadt Kosice ist neben dem französischen Marseille jetzt offiziell europäische Kulturhauptstadt. […] Rund um Kosice herrscht große Armut. Die ärmsten der Armen sind die Roma.“
Schätzungen zufolge leben 25.000 Roma in Košice, rund 10 Prozent der Stadtbevölkerung. Längst ist das Wohnblockviertel "Lunik IX" zum Inbegriff der Roma-Problematik in Kosice geworden. Es ist Ende der 1970er Jahre entstanden und zählt zu den jüngsten Plattenbausiedlungen der Stadt. – Doch Häuser, die ähnlich zerstört sind, findet man hier kaum. Fehlende Fenster, ausgebrannte Türen, Müllberge stauen sich vor den grauen Betonbauten. In der ursprünglich für 2400 Bewohner gebauten Wohnsiedlung, leben heute schätzungsweise 7000 Menschen – oder mehr. So genau kann das keiner sagen, denn fast jemand traut sich dort hin. In einem Haushalt leben durchschnittlich 12-14 Personen. Nahezu alle Lunik IX-Bewohner gehören der Roma-Bevölkerung an. In den 498 Wohnungen zahlt so gut wie niemand Miete. Als Konsequenz hat die Stadt dauerhaft fließendes Trinkwasser, den Strom und die Heizung abgestellt. 
Auch der Artikel der Onlineausgabe der TAZ vom 23.03.2013 kritisiert die Situation der Ghettoisierung der Roma aufs Schärfste: „In Lunik IX sind die Fassaden längst abgefallen und der Kulturhauptstadt Kosice, die so stolz auf ihre Minderheitenvielfalt ist, ist es offensichtlich völlig egal, dass sich mitten in ihrer Stadt eine Tragödie abspielt, die das ganze Kulturmarketing von Košice als den eigentlichen Schandfleck erscheinen lässt.“
Ich glaube den Bewohnern ist die Situation der Roma alles andere als egal. Aber gerne reden sie nicht darüber, wie auch die Vizebürgermeisterin Renata Lenartová im Bericht auf 3sat eingesteht. 
Die Ratlosigkeit der Bevölkerung spiegelt sich in abstrusen Lösungsvorschlägen wider: von Deportationen nach Indien, bereits durchgeführten Sterilisationen von Roma-Frauen gegen Geld bis hin zum Vorschlag einer ansässigen Bewohnerin „auf Lunik IX müsse man eine Bombe abwerfen“.
Vermutlich hofft die Kauschauer Bevölkerung darauf, dass sich das Problem alsbald von selbst löst. Jährlich verlassen zig Familien das Ghetto und suchen bessere Lebensbedingungen in den westlichen Ländern der Europäischen Union. Die Schuldirektorin Anna Koptová, die fast ausschließlich Kinder aus Lunik IX unterrichtet, spricht von sechs Roma-Kindern, die im Laufe des letzten Schuljahres die Klasse verlassen haben. Dänemark, Schweden, Niederlande, England und Deutschland sind beliebte Ziele. – Das „Roma-Problem“ ist längst ein Europäisches.


Stelle ich einem Bewohner der Stadt Košice die Frage, ob er eine Idee habe, was zu tun sei gegen die Armut, die fehlende Bildung und die grassierende Arbeitslosigkeit der Roma, nimmt unser Gespräch eine rasante emotionale Wendung. Unsere Diskussion endet dabei immer mit der Erzählung eines persönlich erlebten Negativerlebnisses mit einem Roma. Am Ende eines jeden Zwiegesprächs komme ich mir hilflos vor.
Ausländische Journalisten und auch ich haben selbstverständlich nur unsere Außenperspektive. Es ist die beschränkte Sicht auf ein Problem, welches seine lange Vorgeschichte hat. Selbstverständlich ist es plakativ und medienwirksam auf die Schnelle nach Lunik IX zu fahren und dort die Armut zu filmen. Schwieriger ist es, sich dem Thema auf vielschichtige Weise zu nähern. 
Wir kennen die Lebensbedingungen der hier lebenden Menschen kaum. Wir gehen nicht zur pränatalen Vorsorge und sehen zu, wie sich ein minderjähriges, hochschwangeres Roma-Mädchen ohne Ausweis, ohne Versichertenkarte zu ihrer ersten Kontrolle bei einer Frauenärztin vorstellt.
Wir ausländische Journalisten sind finanziell besser gestellt. Wir können selbstverständlich nicht beurteilen, wie es ist, nach über 40 Arbeitsjahren mit einer Rente von 200 € monatlich auszukommen. Wir müssen nicht beim Sozialamt Schlange stehen und zusehen, wie arbeitslose Roma-Eltern mit einer ganzen Kinderschar auftauchen und vor uns Sozialhilfe einkassieren. – Und nein, wir sind auf unserer kurzen Durchreise durch die Ostslowakei nicht zufällig von kleinen unschuldig dreinblickenden Roma-Kindern auf ganz hinterhältige Weise bestohlen worden. 
Aber dennoch sehen auch wir Ausländer die rauchenden Trabentensiedlungen auf dem Land, sehen die Müllberge, in denen Roma leben. Wir sehen die Löcher in den Wänden, die Roma (etwa mutwillig?!) ausgebrannt haben. Wir erschrecken, dass selbst schon ein Kindergartenkind zu wissen glaubt, dass „alle Zigeuner stinken und asozial sind“. – Wie können wir da wegsehen, weghören?
Nicht zuletzt graut es gerade uns deutschen Journalisten ganz besonders vor gesellschaftlich akzeptieren Unterscheidungen zwischen „Weißen“ und „Zigeunern“. Ethnische Bezeichnungen fallen hier alltäglich und so natürlich, dass die Bewohner von Košice diese gar nicht mehr wahrzunehmen scheinen. Genau dafür ist der „Blick der Fremde“ gut. Auch wenn er manchmal schmerzhaft ist.
Und doch: Das Kulturhauptstadtjahr Košice bietet eine Plattform für Roma. Ihre Einbindung in das kulturelle Programm ist zumindest in Ansätzen vorhanden. Sie geht über musikalische Einlagen hinaus, wie nicht zuletzt eine im Frühjahr realisierte Foto-Ausstellung „The Real People“ anschaulich darstellt. Sie zeigt keine „Zigeuner“, sondern eine Reihe integrierter Bürger unterschiedlicher Berufe mit Roma-Hintergrund. Solche Initiativen sind kleine Ansätze. Aber sie sind wichtig. Mehr davon!
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Montag, 15. April 2013

Der Klang der Stadt


Ich stehe auf Zehenspitzen und lehne mich heraus aus dem Fenster meiner Dachwohnung. Wenn die Nacht über Košice hereinbricht, setzt ein bedächtiges Rauschen über den Dächern ein. Der Umriss der gotischen Elisabethkirche zeichnet sich gespenstisch ab vor dem Halbdunkel der beleuchteten Straßen der Altstadt.
In der Ferne vernehme ich das Rattern vorbeifahrender Züge, ab und zu ein leises Brummen und Knattern der Straßenbahnen. Sonst ist nichts zu hören. Keine menschliche Stimme, kein Gelächter, kein Klappern von Stöckelschuhen auf Pflasterstein dringt zu mir vor. In der abendlichen Stille tritt dieses summende, monotone Rumoren ein, als brodele es ganz leise in der Tiefe eines Suppentopfes.
Aussicht auf die Dominikanerkirche
Diese besondere Akustik verdankt Košice seiner Lage im Talkessel der Westkarpaten am Ufer des Flusses Hernad.
Um den historischen Kern der Stadt türmen sich Plattenbausiedlungen auf den hügeligen Rändern des Tales, die Košice wie eine Stadtmauer beschützen. Die weiß-grauen Betonbauten sind im Zuge des sprunghaften Bevölkerungswachstums seit den 1960er Jahren entstanden und wirken wie wüst aufgestellte Dominosteinhaufen.
Morgens kocht der Topf über. Da ist zunächst ein durchdringend sägender Ton, der durch die Wand zu meinem Nachbarn dringt und mich weckt. Dann erklingen die Tonleitern aus der Musikhochschule von der gegenüberliegenden Straßenseite. Geigen, Klarinetten spielen ihre Morgenübung.
Sobald die Stadt erwacht, verwandelt sich der leise brodelnde Kessel in einen dröhnenden Moloch, aus dem jedes Hupen, jede Sirene vielfach verstärkt wiederhallt. – Ein Hauch von Los Angeles in Košice…




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