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Sonntag, 11. August 2013

Košice 2013 EHMK – eine große Unbekannte


Viereinhalb Monate lebe ich nun schon in Košice. Höchste Zeit darüber zu schreiben, was die Kaschauer wirklich über ihren Titel als Kulturhauptstadt denken. Ein Stimmungsbericht.


Ende März, als ich mitten im trüben Regenwetter mit dem Nachtzug im Bahnhof von Košice landete, war die Stadt in einem schwerfälligen Grau versunken. Die Bahnhofshalle wirkte durch die Großbaustelle wenig einladend (und ist es bis heute noch). Mit dem Auto fuhr mein Großvater Slalom zwischen den vielen Schlaglöchern, die auf der Straße ein lustiges Flicken-Muster gebildet hatten. Der vom harten Winter aufgeplatzte Asphalt sorgte für allgemeine Empörung unter den Einwohnern, die mit wachsender Skepsis beobachteten, was seit Januar in ihrer Stadt vor sich ging.

Auf übergroßen schwarzen Plakaten mit Astronautenfiguren kündigte sich unter dem pinkfarbenen Akronym EHMK (Europäische Kulturhauptstadt Košice) eine große Unbekannte an. Mit diesem Titel verbanden die Einwohner von Košice anfangs die unzähligen Baustellen, die seit Juli letzten Jahres das Stadtbild und die Geräuschkulisse prägten. 

Kein guter Start. Doch vermutlich verankert sich im Gedächtnis der Bürger immer zunächst der Baulärm, der das Kulturhauptstadtjahr ankündigt. Mit Angst und Schrecken bemerkten die Einwohner, dass ihre Straßen und Parks „zerstückelt seien“, als tobe sich gerade ein wild gewordenes Ärzteteam aus Brüssel in ihrer Heimat aus.



Noch bis Ende April waren deutlich mehr Baggergeräusche als Stadtmusikanten zu vernehmen. Die 7,5 Millionen teure Kunsthalle und der Kasarne/Kulturpark, für den allein 24 Millionen Euro aus den Mitteln der EU-Fonds fließen, sind die kostspieligsten Projekte des Jahres. Dass die Umbaumaßnahmen erst im Sommer vergangenen Jahres begannen, sorgte für allgemeines Unverständnis. Mitunter wird die Bergung einer Bombe aus dem Zweiten Weltkrieg als Verzögerungsgrund für die beginnenden Arbeiten im Kulturpark genannt.


Doch je öfter Eröffnungstermine verschoben wurden, desto mehr argwöhnten die Einwohner, dass die Projekte dieses Jahr gar nicht mehr fertig gestellt würden. Das über drei Hektar große ehemalige Kasernengelände sollte noch in diesem Sommer in einen Kulturpark umgewandelt werden. Die offizielle Eröffnung wurde vor kurzem erneut auf September verschoben, auch wenn das Festival „Leto v Parku“ (Sommer im Park) auf selbigem Areal bereits seit Anfang August auf vollen Touren läuft. Drei ehemalige Kasernengebäude werden in multifunktionale Räumlichkeiten für Kunst, Tanz und Theater umfunktioniert. Zudem sollen Nachwuchskünstler und junge Kreative dort bald zu günstigen Tarifen Büros und Ateliers mieten können. Gleich vor Ort sollen sie Ideen austauschen, Netzwerke bilden.

So einfach und vielversprechend das klingt, so wenig können in Wahrheit alteingesessene Einwohner mit Termini wie „Kulturinkubator“ oder „Kulturpark“ anfangen. Neulich wurde ich Zeugin einer heftigen Debatte über den Unsinn, einer Ausstellungshalle in der Ostslowakei den deutschsprachigen Namen „Kunsthalle“ zu geben, wo doch die große Bevölkerungsmehrheit mit diesem Begriff nichts anfangen könne. Ich verteidigte daraufhin die „Kunsthalle“ mit aller Vehemenz, trägt sie doch den international üblichen Titel einer Galerie mit wechselnden Ausstellungen ohne hauseigener Kunstsammlung. Doch das wollten meine Gesprächspartner schon gar nicht mehr hören. 

Die häufig wiederkehrende Schelte der lokalen Bevölkerung lautet, die Aktivitäten der Kulturhauptstadt seien auf die Mitarbeiter des Organisationsteams zugeschnitten, statt auf die Interessen und Bedürfnisse der Einwohner einzugehen. „Da hat man irgendwelche Clowns an Positionen gesetzt, die gar keine Ahnung haben von den Menschen in Košice und von der Geschichte der Stadt“, höre ich hier des Öfteren. Die wachsende Distanz zwischen „denen“ und „uns Bürgern“ ist spürbar. Viele Menschen vor Ort fühlen sich schlichtweg nicht integriert oder angesprochen vom Programm der Kulturhauptstadt.

Die multikulturelle Stadt Košice. So gern sie dieses Bild von sich verkauft, so unsichtbar sind einige hier lebende Minderheiten auf den städtischen Bühnen. Nach Veranstaltungen zur deutschen und ungarischen Geschichte der Stadt sucht man vergeblich im offiziellen „Programm booklet 2013“. Dabei ist bekannt, dass die Stadt Košice seit dem 11. Jahrhundert dem Ungarischen Königreich angehörte, und das bis ins Jahr 1918. Die „villa Cassa“, die 1230 erstmalig urkundlich erwähnt wird, ist aus einer slawischen/slowakischen und einer deutsch-flämischen Siedlung entstanden. Von der Geschichte der deutschen Siedler in der mittelalterlichen Stadt Kaschau und ihrer Bedeutung weiß heute kaum jemand.

Im August des Jahres 2013 schreitet das Kulturhauptstadtjahr allmählich auf sein letztes Drittel zu. Nicht nur Menschen unter den älteren Generationen, selbst viele junge Kreative fragen sich ernsthaft: „Was wird mit all den neu initiierten Projekten nach Ablauf des Jahres 2013 geschehen?“ Sie befürchten, dass die „nachhaltigen“ Projekte, wie die Verwandlung alter Wärmespeicher in Kulturzentren, nach Ablauf des Jahres wieder ungenutzt sein werden.

Ein ehemaliger Pferdestall wird zur Galerie im Kasarne/Kulturpark

Kaum jemand der Einwohner traut der Stadtverwaltung zu, die vielen neuen kulturellen Gebäude, die der Öffentlichkeit dienen sollen, langfristig finanzieren und mit Leben füllen zu können.

Woher kommt diese große Skepsis der Bürger von Košice? Warum sind sie so wenig enthusiastisch?  

neues Kulturzentrum Važecká
Die Angst vor neuartigen Projekten, die in dieser Form erstmalig auf slowakischen Boden entstanden, ist verständlich. Nirgendwo sonst glitzern gläserne Pavillons auf einem ehemaligen Kasernengelände, in dem nun Workshops für Laienkünstler stattfinden werden. Nirgendwo sonst landete ein Asteroid in einer Plattenbausiedlung am See. Nirgendwo sonst planschen in einem ehemaligen Schwimmbecken Skulpturen namhafter Künstler.

Das alles ist ein Novum, eine große Unbekannte. Die Stadt verändert ihr Gesicht in diesem einen Jahr so rasant wie noch nie zuvor. Kaschau und ihre Menschen gehen ein echtes Wagnis ein, obgleich ein großes Misstrauen vorherrscht gegenüber der Politik, dem Staat sowie der Administration – nicht zuletzt zählt für die Bürger auch die kulturelle Non-Profit-Organisation Košice 2013 EHMK dazu. Dieses starke Misstrauen gegenüber den Obrigkeiten ist sicherlich historisch bedingt. Über 40 Jahre Kommunismus hinterlassen auch 23 Jahre nach dem Zusammenfall des Ostblocks seine Spuren. 

Die Skepsis der Menschen gegenüber staatlichen Organisationen findet man vermutlich in der ganzen Slowakei. Doch speziell in Košice hat sie einen noch pikanteren Beigeschmack: Gerade die älteren Einwohner von Kaschau gehörten in ihrem einen Leben gleich mehreren politischen Systemen an. Da wird sie das Kulturhauptstadtjahr auch nicht mehr von den Socken reißen. Meine Großmutter sagte einmal: „Unsere Familie lebte in fünf Republiken: wir waren zunächst Ungarn, dann für kurze Zeit Tschechoslowaken, später wurden wir wieder zu Ungarn. Irgendwann plötzlich waren wir nicht mehr erwünscht. Schließlich waren wir alle gleich und jetzt sind wir alle frei.“ Wer so viele politische Umbrüche und Regimewechsel miterlebte, ohne sich dabei auch nur einen Schritt vom Fleck zu bewegen, dem sei ein Hang zur Skepsis und etwas mehr Eingewöhnungszeit gewährt…

Über die Skepsis siegte zuletzt doch die Neugier: Am 3. August, dem Auftakt des Sommerfestivals „Leto v Parku“ (Sommer im Park), drängten sich zweitausend Einwohner auf dem ehemaligen Kasernengelände, dem neuen Kulturpark. Die Musik der Bands lockte sie auf den großzügigen Platz, die Wiesen sowie in die frischrenovierten Hallen und Ausstellungsräume. Mit einem derartigen massenhaften Andrang hatten die Organisatoren selbst nicht gerechnet. 

Den Kaschauern wünsche ich, dass ihr Wagnis gelinge und sie lange noch vom Kulturhauptstadtjahr profitieren werden. Vieles verändert sich, so viel Neues ist hier möglich. Das spüre ich täglich. Um mit den Worten des römischen Kaisers Marc Aurel (121-180) abzuschließen: Das Universum ist Veränderung, unser Leben ist, was wir daraus machen...“




Nachtrag

Das Festival „Sommer im Park“ ereignet sich in Košice bereits das fünfte Mal in Folge, diesmal erstmalig auf dem rekonstruierten Gelände des Kasarne/Kulturparks. Zahlreiche Konzerte sowie Filmvorführungen, Theater- und Literaturveranstaltungen finden vom 3. bis zum 25. August statt. (Programm des Festivals.) 

(lediglich auf Slowakisch - schade, dass es für Schlüsselprojekte der Kulturhauptstadt, wie Kasarne/Kulturpark oder die Kunsthalle Košice (HUK), keine englischsprachigen Internetauftritte gibt!)

Der Kasarne/Kulturpark (kurz vor der Eröffnung)
 

 


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Mittwoch, 31. Juli 2013

Ľudmila und die neuen Dargover Helden


Dass „früher alles besser“ war, hört Ľudmila Horňáková immer wieder. In der Seniorengruppe, die sie seit Herbst letzten Jahres einmal wöchentlich betreut, fällt dieser Satz recht häufig. Vermutlich gerade dann, wenn die Senioren dienstags in ihrem Gruppenraum in der Siedlung „der Dargover Helden“ zusammen sitzen und an ihrem vierteljährlichen Magazin „Letokruhy“ (Jahresringe) feilen.

Doch die 27-jährige Ľudmila weicht diesen Themen nicht aus. Im Gegenteil, sie will ganz genau wissen, was früher im Sozialismus anders war und inwieweit sich der Wechsel vom damaligen zum heutigen Regime auf die Beziehungen zwischen Alt und Jung ausgewirkt hat. 


Die gebürtige Kaschauerin hat in Bratislava Bildende Kunst studiert und sich auf die projektbezogene Arbeit mit Laiengruppen spezialisiert. In der acht- bis zwölfköpfigen Gruppe „Von z kruhu“ (Raus aus dem Kreis), die sie im Rahmen des Kulturhauptstadtprojektes SPOTS betreut, will Ľudmila neben handwerklichen Arbeiten Brücken zwischen den Generationen bauen. „Seitdem ich mit den Senioren arbeite, hat sich mein Blick für die ältere Generation komplett verändert. Die Menschen reden genauso über Liebe und Sex, haben Ängste, Ziele und Träume, wie wir alle, “ sagt die junge Künstlerin. 

Ihre Gespräche mit den Rentnern vermitteln ihr den Eindruck, dass die Familien während des Kommunismus mehr zusammengehalten haben. „Und das allein schon deswegen, weil sie aufgrund der räumlichen und materiellen Einschränkungen mehr miteinander teilen mussten. Früher konnte man die eigene Oma nicht einfach ins Seniorenheim stecken. Zu jener Zeit gab es kaum solche Einrichtungen“, erklärt Ľudmila. „Da herrschte noch nicht ein so großer Graben zwischen den Generationen, weil jeder neben seiner eigentlichen Arbeit auch noch seine festen Funktionen in der Familie sowie im Bekanntenkreis innehatte, ob als Großeltern, Eltern oder Freunde.“ Dieser Zusammenhalt habe sich in der „neuen Zeit“ aufgelöst und die Menschen voneinander distanziert und isoliert. 


Mir selbst kommt es hingegen vor, als lebe das alte System in den Gewohnheiten vieler Menschen weiter fort. Dabei muss ich unweigerlich an die vielen Marmeladengläser denken, die sich im Laufe des letzten Wochenendes auf meinem Küchentisch gesammelt haben. Ein Teil davon stammt von meinem Freund und Kollegen Ernest, der mir neulich seine hausgemachte Konfitüre und seinen selbstgemachten Branntwein vorbeibrachte. Der andere Teil stammt von meiner Großmutter, die mich mit ihrem Kirschlikör und selbstgemachter Aprikosenmarmelade versorgte. 



Sicher, hausgemachte Konfitüren sind auch in Deutschland keine Seltenheit. Der eine oder andere Mutige brennt vermutlich sogar klammheimlich seinen Schnaps in den eigenen vier Wänden. Aber diesen kleinen Gesten, diesen täglichen Tauschgeschäften zwischen Nachbarn – „Mein Gartengemüse gegen deine Obstbaumfrüchte“ – begegne ich hier immer wieder. Ist das etwa das „postkommunistische Erbe“, die vielzitierte Herzlichkeit, die hier unter den Menschen zu finden ist? 

Mir scheint es fast so. Selbst bei Arztbesuchen, Drehgenehmigungen und anderen Terminen, ist der informelle, persönliche Weg über Bekannte und Verwandte oftmals vielversprechender. Diese Wege verlaufen hier längst nicht so bürokratisch, wie ich es aus Deutschland gewohnt bin. Vergleichsweise groß hingegen sind hierzulande die Sprachlosigkeit und die Ohnmacht gegenüber dem demographischen Wandel und den sich auflösenden sozialen Strukturen. 


Gerade erst letztes Wochenende thematisierte die Künstlerin Ľudmila diese Problematik in dem Siedlungsgebiet „der Dargover Helden“ (umgangssprachlich Furča). Vorbeigehende Passanten sprach sie an, ihre Gedanken über die Beziehungen zu ihren Angehörigen mit Filzstiften auf einer großen Reklamefläche aufzuzeichnen. Neben Werbetafeln für glatte Beine, schnelle Autos und ferne Urlaubsziele hielten die Passanten Gedanken über die Mitmenschen fest, die ihnen nahe stehen. 


Das Ergebnis ist eine große, weiße, vollgekritzelte Fläche. Auf den ersten Blick unscheinbar, berührte sie jedoch sowohl die Verfasser, vorbeigehende Menschen, Ľudmila als auch mich. Ein junges Mädchen schrieb beispielsweise, dass sie ihre Großeltern täglich sehe, dass diese sie miterziehen würden und dass sie hoffe, ihren Erwartungen „gerecht zu werden“. Ich finde mich in diesem Bekenntnis wieder. Auch mir ist dieses Gefühl nicht fremd. 

Eine andere Person an der Tafel merkt an: „Es ist schwierig, jemandem zu sagen, wie sehr du ihn schätzt, solange er bei dir ist. Erst wenn er fortgeht, wird dir bewusst, wie sehr er dir fehlt, bei jeder Kleinigkeit, selbst in den Momenten, in denen er dich geärgert hat.“ Eine vermutlich ältere Dame beklagt, sie habe immer noch keine Enkelkinder, da die Zeiten momentan so schlecht dafür seien… 

Die Begegnung mit einer schon etwas betagten Dame, die ich neulich auf einer Parkbank traf, kommt mir dabei wieder in den Sinn. Die Dame, eine ehemalige Opernsängerin, antwortete auf meine Frage, wie es um ihr Verhältnis zu ihren Nachbarn stehe: „Vor dem Kommunismus hatten die Leute Angst vor Gott, während des Kommunismus machte uns die gemeinsame Angst vor der Partei zu Verbündeten. Und heute? Heute hat keiner mehr Angst vor niemandem! Heute herrscht Anarchie!“ 

Mir scheint, als lägen die Gräben zwischen den Generationen noch viel tiefer, als in den Staaten des ehemaligen „Westblocks“. Während die älteren Menschen die Zeit des Kommunismus zum Teil in den Himmel loben, kennen die Post-1990er-Jahrgänge die „goldenen Zeiten“ nur aus den Erzählungen ihrer Verwandten und können darüber nur schmunzeln. Diese junge Generation, so scheint mir, füllt diesen Graben verstärkt mit materiellen Dingen aus, von denen ihre Eltern und Großeltern einst nur zu träumen wussten. Ľudmila nennt das den „postkommunistischen Komplex.“ 

Die Künstlerin lebt mit ihren Eltern, ihrem älteren Bruder und ihrer Großmutter noch unter einem Dach. - Ein Auslaufmodell, und zwar in ganz Europa… 


Ľudmila Horňáková setzte ihr Projekt auf der Werbefläche im Rahmen des zehntätigen Projektes Medzicentrum IV. um, welches unter der Leitung von Nina Šošková vom 19.-27. Juli erstmalig in Košice stattfand. 

Die Ausstellung über die Aktivitäten der Gruppe „Von z kruhu“ ist im Vymmenik Brigadnícka, dem rekonstruiertem Wärmespeicher auf der Straße Brigadnícka in Košice, bis zum 1. August zu sehen. 

Mehr Informationen und Kontakte zur Gruppe „Von z kruhu“ gibt es hier.
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Freitag, 3. Mai 2013

Der Fremde auf meiner Etage


Wir sitzen auf der ersten Etage im „Výmenník Važecká“, einem ehemaligen Wärmespeicher im Stadtteil Nad jazerom. Aus dem Erdgeschoss drängen Kinderrufe, Tische und Stühle werden verschoben. Die letzten Vorbereitungen für die Eröffnungsveranstaltung im Kulturzentrum laufen. In wenigen Minuten sollen die Anwohner ihre Vorschläge zum bald entstehenden Kulturprogramm einbringen.

Derweil erkunden einige neugierige Besucher die Dachterrasse des futuristisch anmutenden Betonbaus. Es ist die Eröffnungswoche gleich drei neuer Kulturzentren, und somit eine ganz besondere für Blanka Berkyová, die das Projekt „SPOTs“ bereits im vierten Jahr leitet.

Schon vor meiner Ankunft in Kaschau wurde ich mehrfach auf "SPOTs" hingewiesen, das in der Kulturhauptstadt als DAS Vorzeigeprojekt gilt. Doch was verbirgt sich eigentlich hinter „SPOTs“? - Es soll Kultur in die Platte bringen, oder anders formuliert: die Siedlungen durch kulturelle und soziale Knotenpunkte - spots - wiederbeleben. Denn die riesigen Betonbausiedlungen erstrecken sich rings um das Stadtzentrum und liegen oft in weiter Ferne des lebendigen Altstadtgeschehens.
 
Endhaltestelle im Stadtviertel Nad jazerom
Seit 2009 baut die Stadt unter Leitung Blanka Berkyovás die ungenutzten Wärmespeicher in den Siedlungen in multifunktionale Kultur- und Medienzentren um. Früher dienten die Häuschen als Wärmeverteiler in den Wohnblocks. Mit dem Wechsel zu neuen Warmwasser- und Heizungstechnologien verloren sie ihre Funktion und verwahrlosten zusehends.

alter Wärmespeicher im Stadtteil Nad jazerom
Die Rekonstruktion der Wärmespeicher, die ihnen neue Form und Farbe verpasst, macht allerdings nur den kleinen sichtbaren Teil des eigentlichen Projektes aus. Weniger erkennbar sind die Veränderungen, die sich innerhalb der Bevölkerung abspielen. „Als wir die erste Ausstellung eines Bewohners, der sich mit Holzschnitzerei beschäftigt, auf die Beine gestellt haben, ist mir bewusst geworden, dass seine Nachbarn überhaupt nicht wussten, wer František Jelonek ist“, erinnert sich die SPOTs-Managerin.

Ausstellung von František Jelonek im Juni 2011 im Wärmespeicher Obrody
František Jelonek. Ein Name, eine anonyme Menschenseele von Hunderten, die in seinem Block leben. Seit über 20 Jahren steht Jeloneks Name auf dem Namensschild an der Tür, doch kaum jemand kannte den Mann mit Brille und grau-melierten Haaren. - Bis zu jenem Tag, als er im ehemaligen Wärmespeicher, wenige Schritte von seiner Wohnung entfernt, sein geheimes Hobby zum ersten Mal der Öffentlichkeit zur Schau stellte. Seine Nachbarn entdeckten nicht nur die Kunstwerke Jeloneks, sondern auch einen völlig neuen Menschen. „Das war ein Schlüsselmoment für mich“, bemerkt Blanka Berkyová lächelnd. „Da habe ich gedacht: wow, es funktioniert!“

Die Geschichte von František Jelonek ist kein Einzelfall. Nachbarn teilen sich seit einer Ewigkeit denselben Aufzug ohne je ein Wort miteinander gesprochen zu haben. Allein in Jeloneks Wohngebiet, dem Stadtteil West, wurden in den 1960er Jahren 15.000 Wohneinheiten gebaut, die im Schnitt als 4-Personen-Haushalte konzipiert waren. Heute leben hier 41.300 Menschen, meist in völliger Anonymität nebeneinander.

Blick von der Dachterasse des Wärmespeichers Wuppertálska auf die Siedlung KVP
Das Team von Spots will genau diese minimieren und den Bewohnern ein Gemeinschaftsgefühl vermitteln. 2009 fragte es dazu die Bürger was sie mit den alten Wärmespeichern anstellen würden. So klopfte es auch an der Tür von Klára Fazekasová. Die pensionierte Lehrerin wohnt ihr halbes Leben in der Neustadt von Košice, welche aufgrund der Hanglage auch „Terasa“ genannt wird. „Am dringlichsten benötigten wir einen Raum für unsere Mieterversammlung“, gesteht sie. Bis die Plattenbauten neue Fenster, eine Isolierung und einen neuen Anstrich bekommen, müssen sich die Mieter gemeinsam über die Rekonstruktion einigen. Erst dann verschwindet das hellgraue Betonraster unter neuer Pastellfarbe. „Bislang blieb uns für die Versammlungen nur der Hausflur im Erdgeschoss. Jetzt können wir uns im ehemaligen Wärmespeicher um die Ecke treffen.“ 


Am Anfang vor vier Jahren glaubte kaum ein Bewohner, dass das SPOTs-Projekt funktionieren würde. Die größte Skepsis der Bürger lautete: der Umbau der alten Wärmespeicher und die Instandhaltung eines Kulturzentrums seien viel zu teuer. Man gab dem Projekt maximal ein Jahr Überlebenszeit. „Natürlich gibt es auch heute noch alte Griesgrämer, die sich über die hohen Kosten oder über den Krach bei Fußballwettbewerben beschweren“, sagt Klára Fazekasová und verdreht dabei die Augen. Die Rentnerin gibt mir eindeutig zu verstehen, dass sie keinesfalls zu diesen „alten Nörglern“ zähle.

der erste Wärmespeicher "Obrody", aus dem ein Kulturzentrum entstand
„Wissen Sie, wenn man hier so lange lebt, wird man faul abends in die Stadt zu fahren. Darum bin ich froh, dass wir es jetzt so nah zu kulturellen Veranstaltungen haben“, erzählt die Seniorin weiter. Zwar ist die öffentliche Verkehrsanbindung mit Bus und Tram meist gut zur Innenstadt geregelt. Doch die florierende „Hochkultur“ der Altstadt, die sich im Staatstheater oder im Haus der Künste abspielt, erscheint für viele Bewohner der „Terasa“ schier unerreichbar. – Zu weit klaffen das bunte, quirlige Altstadtleben und das Grau in Grau der Satellitenstädte auseinander.

Die Siedlungsbewohner stellten in den Wärmespeichern hingegen Gitarrenworkshops, Sportturniere, Lesungen, Film- und Theatervorstellungen auf die Beine. Im aktuellen Programm werden auch Trendsportarten wie Tae Bo und Yoga angeboten - selbst im Stadtkern eine Seltenheit - und ein Wärmespeicher verwandelte sich in einen Skatepark.

der Wärmespeicher L'udová dient seit April als  Skatepark im Stadtteil West
Hinter verschlossenen Türen in den Wohnblöcken verbergen sich geheime Kunstschmiede, Dichter, Batikkünstler oder Pflanzenkundler. Das Team von SPOTs sei immer wieder über die vielseitigen handwerklichen Fähigkeiten der Bewohner erstaunt. „Die Bewohner lernen wiederum interessante Künstler kennen, die wir zum Teil aus dem Ausland in die Siedlungen holen“, sagt sie. „So lernen wir gegenseitig voneinander. - Ein dynamischer Prozess.“

Vor dem Projekt „SPOTs“ gab es in den Siedlungen von Košice bereits vereinzelte, selbst initiierte Mütterzentren, Tauschbörsen und Jugendgruppen. „Aber eine derart großflächige Aktion, welche so viele Bürger gezielt integriert, ist mir weder aus der Slowakei, noch aus anderen Ländern bekannt“, sagt die junge Slowakin mit Stolz in der Brust. „SPOTs kann sich als ein Pionierprojekt bezeichnen!"

Bis 2018 bleiben die Häuser in den Händen der Veranstalter der Kulturhauptstadt, die sich um die Organisation der kulturellen Veranstaltungen und Instandhaltung kümmert. Die Projektleiterin hofft, dass sich die Kulturzentren eines Tages autonomisieren. „Vielleicht findet sich tatsächlich eine pfiffige Bürgerinitiative, die die kulturellen Aktivitäten in den Häusern fortsetzen und verbreiten wird.“

Info-Veranstaltung im neuen Wärmespeicher Važecká
Momentan sieht es zumindest im Stadtteil Nad jazerom noch nicht danach aus. Seine Anwohner müssen erst noch mit dem meteoritförmigen Gebäude warmwerden. Abgesehen von einer Gruppe Kinder, die wie magisch von der Kletterwand angezogen ist, kommt noch nicht einmal eine Handvoll Bürger zur Abendveranstaltung. Vielleicht ist das fehlende Interesse an diesem Abend aber auch der „SuperStar“ Gesangshow geschuldet, die in der „Malibu bar“ nebenan ihren eigenen Star auf die Bühne bringt …

ein Ufo ist gelandet - die Phase gegenseitiger Annäherung beginnt


Auszug aus dem Interview mit Blanka Berkyová (slowakisch)

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